Grösseres Erdbeben im Profi-Fussball vorerst abgewendet

Content: RA lic.iur. Giuseppe Di Marco | Bühlmann Rechtsanwälte AG

1.   Die Geschichte des Heinz Müller (Teil 1)

Der Profi-Fussballtorhüter Heinz Müller - heute 38 - stand zwischen 1997 und 2009 für verschiedene Vereine in Deutschland (u.a. Hannover 96, Arminia Bielefeld oder FC St. Pauli), Norwegen (Odd Grenland und Lilleström SK) sowie England (beim FC Barnsley) zwischen den Pfosten. Im Jahre 2009, im Alter von 31 Jahren, kehrte er nach Deutschland zurück und spielte fortan für den 1. FSV Mainz 05 in der 1. Bundesliga. Im 2012 verlängerte Müller seinen Vertrag mit dem 1. FSV Mainz 05 um zwei Jahre bis 30. Juni 2014, wobei sich der Vertrag automatisch um ein weiteres Jahr verlängern würde, sollte er eine bestimmte Anzahl von Bundesliga-Einsätzen erreichen. Während eines Bundesliga-Spieles im November 2013 kam es zwischen ihm und dem damaligen Trainer Thomas Tuchel (heute Trainer beim Bundesligisten Borussia Dortmund) zu einem Streit. Dieser eskalierte, so dass ihn der Trainer - ein halbes Jahr vor Ablauf des Vertrags - aus der 1. Mannschaft nahm. Müller wurde fortan nur noch für die 2. Mannschaft des 1. FSV Mainz 05 in der Regionalliga eingesetzt, was zur Folge hatte, dass Müller nicht auf die Anzahl Bundesligaspiele kam und sich sein Vertrag nicht automatisch verlängerte. Die Profi-Karriere des inzwischen 36-jährigen Torhüters nahm so ein abruptes Ende.

Müller gab sich aber kämpferisch zog den Fussballverein vor Gericht. Er war der Ansicht, durch seine Verbannung aus der 1. Mannschaft seien ihm nicht nur zahlreiche Prämien entgangen, sondern es sei ihm auch die Chance genommen worden, jene Anzahl von Bundesligaeinsätzen zu erreichen, damit sich sein Vertrag automatisch um ein weiteres Jahr bis zum 30. Juni 2015 verlängert hätte. Vor Gericht klagte Müller deshalb auf Feststellung des Fortbestands des Vertrags mit dem 1. FSV Mainz 05 zumindest bis zum 30. Juni 2015 sowie auf Zahlung von entgangenen Punkteprämien für die Saison 2013/2014. Rechtlich ging es um die Frage, ob die gängige Praxis im Profi-Fussball, mit Spielern nur befristete Arbeitsverträge abzuschliessen, zulässig sei. Mit anderen Worten war zu prüfen, ob Arbeitsverträge im Profi-Fussball denselben Regelungen unterstehen wie die Arbeitsverträge mit „gewöhnlichen“ Arbeitnehmern. Das angerufene Arbeitsgericht Mainz wandte das Gesetz über Teilarbeitszeit und befristete Arbeitsverträge an. Nach § 14 dieses Gesetzes ist eine Befristung von Arbeitsverträgen nur zulässig, wenn deren Gesamtdauer maximal zwei Jahre beträgt oder wenn ein sachlicher Grund für eine Befristung vorliegt. Das Gericht kam zum Schluss, dass im Fall Müller kein sachlicher Grund ersichtlich sei, um eine Befristung des Arbeitsverhältnisses von gesamthaft mehr als zwei Jahren zu rechtfertigen. Folglich hiess das Arbeitsgericht Mainz im März 2015 die Klage des Fussballspielers teilweise gut und es stellte den Fortbestand des Arbeitsvertrags zwischen ihm und dem 1. FSV Mainz 05 als unbefristetes Arbeitsverhältnis fest. Die Entschädigungsforderung von Müller wegen entgangenen Punkteprämien wies es ab (Urteil des ArbG Mainz Nr. 3 Ca 1197/14 vom 19.03.2015).

In der Folge entstand eine mehr oder weniger grosse Verunsicherung im Bereich des Profisports in Europa. Denn laut dem Urteil des Mainzer Arbeitsgerichts wären befristete Arbeitsverträge im Profi-Fussball und in ähnlichen Profi-Sportarten als gesetzeswidrig zu betrachten. Es ging die Angst herum, dass das Urteil weitreichende Auswirkungen auf das gängige Vertrags- und Transfersystem haben könnte - ähnlich wie der bekannte Fall „Bosman“ aus den 90er Jahren.

2. Der Fall „Bosman“, der den Fussball in Europa veränderte

Im Jahre 1990 beabsichtigte der 25-jährige belgische Fussball-Profi Jean-Marc Bosman, nach Vertragsablauf vom RC Lüttich zum französischen Zweitligisten US Dünkirchen zu wechseln. Damals war es gängige Praxis, dass für Profi-Fussballer auch nach Ablauf des Vertrags eine Transferentschädigung (Ablösesumme) zu bezahlen war, um sich ihre Spielberechtigung zu sichern. Zudem bestanden damals sog. Ausländerklauseln, mit welchen die nationalen Verbände die Anzahl ausländischer Spieler, die ein nationaler Verein in Meisterschaftsspielen aufstellen durfte, beschränkten.

In der Folge vereinbarten der RC Lüttich und der US Dünkirchen einerseits eine Ablösesumme von 1,2 Mio. Belgische Francs (BFR) für eine einjährige Leihe von Bosman und andererseits eine weitere Ablösesumme von 4,8 Mio. BFR für die definitive Übernahme des Spielers. Nach Vertragsschluss zweifelte der RC Lüttich jedoch an der Zahlungsfähigkeit des französischen Vereins, worauf es Bosman die Freigabe für den Vereinswechsel verweigerte. Damit platzte der Transfer von Bosman zum US Dünkirchen. Der RC Lüttich sperrte ausserdem Bosman, um ihn daran zu hindern, für einen anderen Verein zu spielen. Wegen des faktischen Berufsverbotes klagte sich der Profi-Fussballer daraufhin durch sämtliche nationalen Gerichtsinstanzen hindurch. Bosman beantragte, die Transferregeln und die Ausländerklauseln seien für nicht anwendbar zu erklären und er verlangte vom RC Lüttich, vom belgischen Fussballverband sowie der UEFA eine Entschädigung für den bei ihm vom 1. August 1990 bis zum Ende seiner Fussballerkarriere entstandenen Schaden und entgangenen Gewinn. Bosman erhielt Recht. Der Fall erreichte schliesslich den Europäischen Gerichtshof, welcher letztlich entschied, dass die damals geltenden Transferregeln und Ausländerklauseln den Artikel 48 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG-Vertrag) verletzten (EuGH-Urteil C-145/93 vom 15.12.1995). Artikel 48 EWG-Vertrag garantierte die Freizügigkeit von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern innerhalb des europäischen Wirtschaftsraumes. Seit diesem EuGH-Urteil steht erstens fest, dass Profi-Fussballer mit einem EU-Pass für einen Fussballverein in der Europäischen Union spielen dürfen, ohne dass eine Ausländerklausel greift. Und zweitens dürfen die Fussballspieler nach Vertragsablauf den Verein ablösefrei wechseln.    

3. Zurück zum Fall Heinz Müller (Teil 2): Korrektur des Entscheids durch das zweitinstanzliche Gericht

Der 1. FSV Mainz 05 zog den eingangs erwähnten Entscheid des Arbeitsgerichts Mainz, welches Profi-Fussballer auf derselben Ebene wie die „gewöhnlichen“ Arbeitnehmer stellte, an das zweitinstanzliche Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz weiter. Der Verein argumentierte, dass sehr wohl sachliche Gründe für eine Befristung von Arbeitsverhältnissen bei Profi-Fussballern vorliegen würden. Eine Befristung sei im Lizenzspielerbereich branchenüblich. Zum einen hätten Profi-Fussballer altersbedingt eine relativ kurze berufliche Karriere im Vergleich zu „gewöhnlichen“ Arbeitnehmern. Ein Fussballverein könne einem 34-jährigen Profi (so alt war Müller im Jahre 2012) keinen unbefristeten Vertrag anbieten, weil die Leistungsentwicklung ungewiss sei. Der Verein könne auch nicht jeden Spieler im Kader mit einem unbefristeten Vertrag ausstatten, andernfalls eine vernünftige Personalplanung nicht mehr möglich sei und auf veränderte Umstände nicht sinnvoll reagiert werden könne. Das Landesarbeitsgericht folgte der Argumentation des Vereins. Es befand, dass Arbeitsverhältnisse im Profi-Fussballbereich von Besonderheiten gekennzeichnet seien, die es rechtfertigen würden, befristete Arbeitsverträge abzuschliessen. Im Profi-Fussballbereich bestehe ein erheblich höheres Mass an Ungewissheit bezüglich der zukünftigen Entwicklung des Spielers (Verletzungsgefahr, Einsetzbarkeit bei veränderten Spielsystemen z.B. nach einem Trainerwechsel etc.) und des Vereins (Abstieg oder Aufstieg, Finanzlage, Zielvorgaben etc.). Es bestehe zudem eine besondere Notwendigkeit im Profi-Fussballbereich, die Altersstruktur des Spielerkaders laufend anzupassen. Nach Ansicht des Gerichts sei eine Mannschaft mit einem Altersdurchschnitt von über 30 Jahren im Profi-Fussball nicht mehr konkurrenzfähig. Der Verein sei daher ständig bestrebt, den Spielerkader durch die Neuverpflichtung von jüngeren Spielern „aufzufrischen“. Schliesslich ergebe sich eine Besonderheit daraus, dass das Publikum vom Verein erwarten würde, dass die Mannschaft von Zeit zu Zeit, wenn nicht sogar in jeder Transferperiode, verändert und durch die Verpflichtung von neuen Spielern verbessert werde. Damit würden sachliche Gründe nach § 14 des Gesetzes über die Teilarbeitszeit und befristete Arbeitsverträge vorliegen, die eine Befristung von Arbeitsverhältnissen rechtfertigen würden. Das Landesarbeitsgericht hielt als Ergebnis fest, dass der Arbeitsvertrag zwischen Müller und dem 1. FSV Mainz 05 aufgrund der Befristung per 30 Juni 2014 beendet wurde (Urteil LaG Rheinland-Pfalz Nr. 4 Sa 202/15 vom 17.02.2016).

Im Mai 2016 wurde bekannt, dass Müller das zweitinstanzliche Urteil des Landesarbeitsgerichts an die nächsthöhere Instanz weiterzog. Mit dem brisanten Fall wird sich nun das Bundesarbeitsgericht beschäftigen müssen, falls sich die Parteien vorher nicht aussergerichtlich einigen. Es ist damit zu rechnen, dass – wie im Fall „Bosman“ – letztinstanzlich das EuGH über die Frage der Zulässigkeit von befristeten Arbeitsverhältnissen im Profi-Fussballbereich und in ähnlichen Profi-Sportarten entscheiden wird.

4.   Aussichten und mögliche Auswirkungen für den Schweizer Fussball

Es ist schwierig, eine Prognose abzugeben, wie der Fall „Müller“ juristisch enden wird, sollten sich die Streitparteien nicht vorher einigen können. Aufgrund des gut begründeten und ausgewogenen Entscheids des Landesarbeitsgerichts Rheinland- Pfalz ist aber eher davon auszugehen, dass das Bundesarbeitsgericht den Entscheid der Vorinstanz bestätigen wird. Zu Recht kann argumentiert werden, dass Arbeitsverträge mit Profi-Fussballspielern den Besonderheiten des Fussballsports unterliegen. Die Karriere eines Profi-Fussballers ist im Vergleich zur beruflichen Karriere eines „gewöhnlichen“ Arbeitnehmers viel kürzer. Ein Berufsfussballer verdient ausserordentlich gut und steht in der Regel im öffentlichen Rampenlicht. Fällt ein Profi-Fussballer negativ auf, verändert sich das Spielsystem seiner Mannschaft oder wird der Trainer durch einen neuen ersetzt, so kann es plötzlich sein, dass der Spieler im Verein nicht mehr erwünscht ist. Bei Profi-Fussballern, die durch ihre Leistung und ihren Charakter überzeugen, ist ein Verein hingegen interessiert, mit diesen Spielern weiterzuarbeiten und befristete Verträge zu verlängern bzw. neue befristete Verträge abzuschliessen. Je nach Alter und der ungewissen Leistungsentwicklung ist es sodann angezeigt, kürzere befristete Verträge mit Profi-Fussballern abzuschliessen. Entsprechend ist dem zweitinstanzlichen Deutschen Arbeitsgericht beizupflichten, wenn es sachliche Gründe bejaht, die eine Befristung von Arbeitsverträgen rechtfertigen.

In der Schweiz sind aneinandergereihte befristete Arbeitsverträge (sog. Kettenarbeitsverträge) grundsätzlich zulässig, soweit damit der Kündigungsschutz eines Arbeitnehmers nicht umgangen werden soll oder eine andere Gesetzesumgehung beabsichtigt wird. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts sind Kettenarbeitsverträge insbesondere dann problematisch und können rechtsmissbräuchlich sein, wenn die Aneinanderreihung von befristeten Verträgen nicht auf sachliche Gründe beruhen. Anerkannt ist, dass sachliche Gründe etwa bei der Anstellung von Künstlern, Gelegeheitsarbeitern, Lehrkräften oder auch Berufssportlern vorliegen können. Die vorstehend erwähnten Besonderheiten, die es beim Vertragsschluss zwischen dem Fussballverein und einem Profi-Fussballer zu berücksichtigen gilt, stellen auch bei Anwendbarkeit des Schweizer Rechts sachliche Gründe dar, die für die Zulässigkeit von aneinandergereihten befristeten Arbeitsverträgen sprechen. In einem Fall wie derjenige von Heinz Müller würde deshalb ein Schweizer Gericht unter Schweizer Recht voraussichtlich gleich entscheiden wie das Landarbeitsgericht Rheinland-Pfalz.